Ausstellung „Anblick, Durchblick, Ausblick“ – Mustafa Kizilcay, Kulturbahnhof Kreuztal
Christian W. Thomsen
Einführung zu Mustafa Kizilcays Ausstellung „Anblick, Durchblick, Ausblick“ am 12.7.2018
Am 5. Mai 2017 haben wir hier vor vollem Haus und bei brütender Hitze Michael Schumanns Ausstellung „Experimentator zwischen Figuration und Abstraktion“ eröffnet. Es wurde eine überaus erfolgreiche Ausstellung. Michael Schumann haben meine Frau und ich es zu verdanken, dass wir überhaupt Mustafa und Canan Kizilcay kennengelernt haben, im Spätherbst 2016 bei den Schumanns. Wir drei haben etwas gemeinsam, den – allerdings fachlich sehr unterschiedlichen – akademischen Hintergrund: Michael und ich sind emeritierte Professoren, und Mustafa steht als Inhaber des Lehrstuhls für „Elektrische Energieversorgung“ noch mitten im Beruf. Michael fing erst nach seiner Emeritierung 2008 an, das zu tun, was er eigentlich schon immer wollte, nämlich Kunst zu studieren. Er ist mittlerweile ein anerkannter und gestandener Künstler. Mustafa, der seit 2004 in Siegen lehrt, beschloss 2010, nachdem er in Netphen ein Haus gebaut hatte und nicht mehr von Osnabrück ins Siegerland pendeln musste, die fürs Pendeln aufgewandte Zeit ins Kunststudium zu stecken. Ich selbst eröffne Ausstellungen aus purer Lust und Freude an der Kunst, gefühlt seit meiner Kindergartenzeit, tatsächlich in etwa, seit ich die neben mir stehende Modedesignerin und Galeristin geehelicht habe, und das sind in exakt 12 Monaten 50 Jahre. Seither sammeln wir Kunst, fördern Künstler, leben mit ihnen und ihren Werken.
Der Name von Inges langjähriger Galerie „art and living“ ist für uns Lebensprogramm. Doch zurück zu Mustafa und seinen neuen hier ausgestellten Bildern. Er und seine Frau Canan sind Menschen, zu denen man schnell Kontakt findet und die man einfach gernhaben muss. Als ich vor einem Jahr im Netpher Rathaus seine erste große Ausstellung sah, die ich dann dreimal besucht habe, beschloss ich auf der Stelle, ihn möglichst auch hier in Kreuztal zu präsentieren. Der Grund: Originalität, Mut und Frische seiner Arbeiten, die ich als ausgesprochen inspirierend empfand und deren weitere Entwicklung ich nicht nur verfolgen, sondern auch unterstützen wollte. Als Kunststudent fühlt Mustafa sich von seinen Lehrerinnen Christina Erhard, Josef Imorde und besonders Uschi Huber gut beraten.
Was tut dieser Mensch, Mustafa Kizilcay, eigentlich in seinem Hauptberuf? Jeder von uns ahnt, dass ein Lehrstuhl für „Elektrische Energieversorgung“ etwas mit unser aller Wohl und Wehe zu tun hat, ohne dass wir als Laien wüssten, worum es wirklich geht. Schauen wir uns im Netz die Forschungsschwerpunkte dieses Lehrstuhls an, so lauten die z. B.: „Modellierung von elektrischen Energieversorgungsnetzen zur digitalen Simulation transienter und dynamischer Vorgänge“, oder: „Systematische Zustandsbewertungen von Mittel- und Niederspannungsnetzen“ oder, noch eins: „Auswirkungen dezentraler Erzeugungsstrukturen auf die Stromversorgung und Ableiten von Maßnahmen“. Einer von Mustafas Vorträgen 2017 trug den Titel: „Analysis of switching transients of a 380-kV mixed line due to deenergization“ gehalten auf der European AMTP-ATP Conference in Kiel. Was sie nun de facto tun, das ist das Arbeiten mit Computersimulationen von Netzschwankungen, Netzzuständen, Spannungsveränderungen im Zusammenschluss europäischer Netzwerke zur Verhinderung von Unfällen, die u.a. durch den viel diskutierten Aus- und Neubau von Stromnetzen von Norden nach Süden bedingt sind. Und zwar bewegen sich ihre Simulationen im Bereich von Mikro- bis zu Nanosekunden, also in Zeiträumen von Tausendstel- bis Milliardstel-Sekunden. Das erfordert Präzision.
Wie wichtig derartige Forschungsarbeiten für uns alle sind, erfuhren wir just am 3. Mai, als wir abends von unserem Besuch bei den Kizilcays nach Hause kamen, die Fernsehnachrichten anschalteten und erfuhren, dass an jenem Tag die gesamte Stromversorgung des Hamburger Flughafens zusammengebrochen war, weshalb alle Flüge ausfallen mussten. Ein anderes Beispiel, an das sich vermutlich noch viele von Ihnen erinnern, als am 5.11.2006 ein neues , 294m langes Kreuzfahrtschiff der Meyer Werft in Papenburg auf seiner Auslieferungsfahrt emsabwärts fuhr und ein Techniker von E.on aus Sicherheitsgründen kurz eine , die Ems querende 380.00 Volt Höchstspannungsleitung, abschaltete, woraufhin große Teile des westeuropäischen Verbundnetzes ausfielen. Süddeutschland, Südfrankreich ,Belgien, Spanien und Italien gerieten in ernste Schwierigkeiten, Millionen von
Kunden waren ohne Strom.
Allmählich breitet sich im publizierten, öffentlichen Bewusstsein die Erkenntnis aus, dass Netzsicherheit eines der drängendsten Probleme für die Industrie und öffentliche Stromversorgung in aller Welt darstellt. Kai, einer meiner beiden Söhne, hat in Siegen Informatik und Anglistik studiert und ist seit Jahren für die IT-Sicherheit aller Audi-Werke zuständig. 55.000 Hacker-Angriffe treffen allein seine Firma pro Tag, und wenn er von jenem Cyber-Krieg erzählt, der im Untergrund tobt, kann einem angst und bange werden. Zu seinen Hauptverhandlungspartnern gehören Netzbetreiber und deren Sicherheitsbemühungen, was nun wiederum direkt mit den Forschungen an Mustafas Lehrstuhl zusammenhängt. Über die Gemeinsamkeiten und die Verwandtschaft von wissenschaftlichem und künstlerischem Arbeiten habe ich in meinen Einführungen oft gesprochen. Frage ist, ob und wie das auch bei Mustafa zutrifft. Antwort: Ja, und das ganz besonders. Die Präzision seiner wissenschaftlichen Arbeit setzt sich in seiner künstlerischen Arbeit fort, die er ebenso ernst nimmt wie die Wissenschaft. Nicht nur, dass er fotografische Themen quasi wie im naturwissenschaftlichen Experiment als Versuchsreihen anlegt, die auch kunsttheoretisch untermauert sind und technisch auf das jeweilige Thema abgestimmt gleichen Versuchsbedingungen unterliegen, sondern auch, dass er versucht, mit innovativen Impulsen neue Wege auszutesten, die das Sehen des Betrachters inspirieren, erweitern und vertiefen.
In einem visuellen Zeitalter wie dem unseren sind wir, vor allem seit dem Siegeszug der Digitalfotografie, nahezu allerorten von erstklassigen Fotos umgeben, in allen Printmedien, der Werbung, der Medizin, der Industrie. Auf ausgetretenen Pfaden der Fotografie kann man heute keinen Eskimo mehr von irgendeinem Schlitten reißen. Das heißt im Falle unserer Ausstellung, dass Mustafa versuchen muss, neue Akzente zu setzen. Das heißt konkret, dass er bei jedem der ausgestellten Bilder in zwei Schritten gearbeitet hat. Er hat seine Motive zunächst mit der auf einem sehr niedrigen Stativ stehenden Kamera aus einer frontal ausgerichteten Bodenperspektive aufgenommen. Sodann fotografierte er das Motiv ein zweites Mal, auf einer Trittleiter stehend, aus erhöhter Zentralperspektive, die sich von der Bodenperspektive unterscheidet. Die aufnahmetechnischen Details seiner Fotos gibt Mustafa nicht preis.
Jedem Siegerländer, der nicht künstlerisch vollkommen unterbelichtet ist, läuten bei dieser Vorgehensweise die Glocken des Wiedererkennens, und es schieben sich zwei Künstler vor seine Gedächtnislinse: Bernd und Hilla Becher, von denen jedermann oder jede Frau mindestens die Fotos einheimischer Fachwerkhäuser aus dem späten 19. Jahrhundert kennt.
Die Bechers haben den Ruf des Siegerlandes in die entferntesten Museumsecken dieses Planeten getragen. Sie zählen zu den berühmtesten und einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Absolute Starfotografen der Gegenwart wie Thomas Struth, Candida Höfer und Andreas Gursky gehören zu ihren Schülern.
Wir haben 1986 zu siebt den Siegener Kunstverein gegründet, und unsere von Wolfgang Suttner organisierte erste Ausstellung in der Villa Waldrich, war dem Schaffen der Bechers gewidmet.
Die Bechers haben als Archäologen der Industriekultur eine einmalige Sammlung von Häusern, Industriebauten und ganzen Industrielandschaften, die heute meist nicht mehr existieren, geschaffen. Sie haben erheblich dazu beigetragen, dass, wie im Ruhrgebiet, Industriemonumente und –landschaften als kulturelles Erbe wahrgenommen, gepflegt, historisch gewürdigt und so noch vorhanden, heute vielfältig künstlerisch und veranstalterisch genutzt werden.
Zu den Spezifika, ihrer fotografischen Handschrift gehören die Zentralperspektive, Verzerrungsfreiheit, Menschenleere, eine neutrale Lichtstimmung, wolkenverhangener, grauer Himmel mit weichem Sonnenlicht, alles Aufnahmeprinzipien, die auch Mustafa in seinen Arbeiten anwendet.
Unser verstorbener Freund Hermann Kleine hatte zusammen mit Bechers Bernd die Schulbank gedrückt. Er durfte Bernd in dessen Anfangsjahren oft auf Fototouren begleiten und seine Leiter halten, damit Bernd Fachwerkhäuser, Fördertürme, Hüttenanlagen in ihrer gemeinsamen Siegerländer Heimat fotografisch dokumentieren konnten. Ähnlich habe ich vor wenigen Wochen Mustafa ins gegenüberliegende Café Basico begleitet und ihn in diesem, von phantasieanregender Atmosphäre gesättigten Gebäude, bei seiner Arbeit selbst abgelichtet.
Er kauerte erst am Boden, stellte dann seine Kamera auf dem Ministativ ein, kletterte hernach auf seine Trittleiter und stand da für mich regungslos. Leider meinte er hinterher doch, die Bilder, die er dort gemacht habe, genügten seinen Ansprüchen nicht. Sie seien zu verwackelt.
Was Mustafas Arbeiten von denen der Bechers unterscheidet, besteht darin, dass er nicht ganze Gebäude oder Industrie-Ensembles ins Visier seiner Kamera nimmt. Stattdessen gilt seine Aufmerksamkeit Details und Fragmenten von Ansichten oder Einrichtungen seines eigenen oder anderer Leute Haus, von Büros, Industriehallen oder Lagerhöfen, oft verbunden mit Naturausblicken. Die ja alle, bedingt durch seine Fotografierweise, aus zwei verschiedenen Perspektiven aufgenommen sind.
Besonders Lücken haben es ihm zurzeit angetan. Ihnen spürt er in Hecken, Zäunen, Gitterkonstruktionen, Geweben und Vorhängen mit Leidenschaft und Farbe nach, keineswegs wie die Bechers nur in Schwarz-Weiß. Unwillkürlich kommt mir da Christian Morgensterns Gedicht vom Lattenzaun in Erinnerung:
Es war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.
Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da
und nahm den Zwischenraum heraus,
und baute draus ein großes Haus.
Der Zaun indessen stand ganz dumm,
mit Latten ohne was herum …
Mustafa jedoch fragt, was verbirgt sich hinter den Zäunen, Vorhängen und Lücken? Wie bringe ich den Vorhang selbst in seiner Materialbeschaffenheit, seinen, Farbtönen quasi ins Flimmern und Vibrieren? Ist der Betrachter durch den Vorhang frustriert oder stimulieren ihn Lücke und Sehschlitz? Mustafas Fotografien sind somit in anderer Weise als die Arbeiten der Bechers zugleich fototechnische und kunsthistorische Dokumentation wie auch originäre Kunst. Dabei spielt für ihn selbst die Bildanalytik eine führende Rolle.
Er regt unsere Neugier an. Er fordert uns zu genauem Hinsehen auf. Er macht uns bewusst, dass Ästhetik keineswegs nur die Lehre vom Schönen in der Kunst ist, sondern auch in banalen Alltagsgegenständen, in unbedeutenden Details zu finden ist und dass eine „Ästhetik des Hässlichen“ ebenso anziehend sein kann, wie künstlerisch vollendetes Design.
Letzteres weiß die Philosophie allerdings spätestens seit Karl Rosenkranz 1853 die „Ästhetik des Hässlichen“ neben der des Schönen zur philosophischen Disziplin erklärt hat. Es fügt sich zudem in die Tradition jener revolutionären Moderne, die seit Duchamp jedem noch so banalem Gegenstand Kunstfähigkeit zuspricht. Dessen berühmtes New Yorker „Pissoir“ Readymade entstand bereits 1917. Aus diesem Grund fügt sich Mustafas Kunstkonzept passgenau in jenes Konzept und Programm umstürzlerischer Moderne.
Am eindringlichsten hat Mustafa dies für mich in einer Fotoserie dokumentiert, die er im vergangenen Jahr in Netphen ausgestellt hat. Dabei handelte es sich um eine Serie, die das Innere umgestülpter Socken zeigte. Ich frage Sie, wer um alles in der Welt ist je auf die Idee gekommen, das Innere von Socken zu fotografieren? Und das so gekonnt und ästhetisch reizvoll, dass es mich noch heute juckt, ihm diese Serie abzuluchsen, obwohl unser Haus derart voller Kunst steckt, dass eigentlich nichts mehr hineingeht. Allerdings habe ich inzwischen herausgefunden, dass die Firma „Duchamp of London“ besonders schöne Socken herstellt. Sie sind nicht billig, aber ich habe mir drei Paar davon bestellt und zur heutigen Vernissage auch eines davon angezogen.
Ein weiteres Thema der Netpher Ausstellung führt Mustafa in dieser Ausstellung weiter und in neue Richtung, nämlich das Fotografieren durch Vorhänge hindurch. Und das verbindet er mit dem gerade erwähnten Leitthema der heutigen Ausstellung, nämlich dem Thema „Lücke“.
Vorhänge sind reizvoll wegen ihrer Texturen, wegen ihrer Farbnuancen, wegen ihrem Spiel mit Licht und Schatten, dem Verbergen, Verhüllen,ihrer Filterwirkung. Die Lücke spornt die Fantasie an, zu ergänzen, zu enthüllen. Das hat etwas Orientalisches und zugleich Kriminalistisches. Neugier des Betrachters und sein Spürsinn werden geweckt, zugleich werden Hirn und Auge geschult. So haben wir das Thema dieser Ausstellung bewusst mehrdeutig formuliert: „Anblick, Durchblick, Ausblick“.
Anblick gilt zunächst der Gesamtheit des präsentierten Bildes, den Mustafa aber dadurch verrätselt, dass es ja eigentlich aus zwei vertikal untereinander gehängten Teilen besteht. Der kriminalistische Spürsinn des Betrachters mag versuchen, die zwischen unten und oben bestehende Lücke durch Logik und Fantasie auszufüllen. Gelingt ihm das, oder nimmt er jeweils zwei voneinander unabhängige Bilder wahr? Mustafa jedoch kommt es nicht darauf an, dass der Betrachter Rätsel löst, sondern dass er jedes der in zwei losen Reihen gehängten Bilder für sich als Einzelbild wahrnimmt. In der Hängung folgt er dabei dem ursprünglich von Mies van der Rohe für die Architektur geprägten und zum Credo der Moderne gewordenen Ausspruch „less is more“. Hier mag das Prinzip durch die räumliche Begrenzung gerechtfertigt sein, obwohl ich den Besuchern gerne noch etliche andere, von mir hochgeschätzte Bilder Mustafas gezeigt hätte. In der Kunsttheorie und – praxis der letzten Jahrzehnte jedoch ist dies Prinzip bis zum absoluten Exzess der leeren Leinwände und leeren Räume und ins Extrem des Nirwanas zu Tode geprügelt und theoretisiert worden. Heute leben zigtausende von Designobjekten und Kosmetikprodukten von dem zum Marketinginstrument verkommenen „less is more“- Begriff.
In Mustafas Fotografien aber gibt es z. B. den Anblick meterhoher Gartenhecken, durch deren Lücken man auf Teile jener Gärten blickt, die der Nachbar vor neugierigen Augen verbergen möchte. Ausblick im Hintergrund sind Haus- und Gartenfragmente oder Siegerländer Grün. Des Betrachters Sichtfeld wird also bewusst verengt und er wird genötigt, das eigene Seh- und Vorstellungsvermögen in Gang zu setzen.
Wer viel im Ausland gewesen ist, gelebt hat, merkt schnell, dass es kaum irgendwo, außer vielleicht in der Schweiz, so aufgeräumt ordentliche Lager- und Betriebshöfe gibt wie hierzulande. Den Ausblicksrahmen bilden dann oft Fragmente Siegerländer Wälder.
Details von technischen Geräten, Rohren, Paletten werden im Durchblick ästhetisch aufgewertet, bedeutsam. Derartige Betriebshöfe wären in oder am Rande von Großstädten kaum denkbar. Hier bildet immer wieder die Siegerländer Leitfarbe Grün, kombiniert mit pietistischem Ordnungssinn, den Ausblicksrahmen. Mustafas didaktischer Ansatz besteht darin, den Betrachter zu einer mehrschichtigen Bildanalyse zu animieren.
Typisch dafür war unsere gemeinsame Suche nach einem Titelbild für Einladungskarte und Plakat dieser Ausstellung. Wir, in diesem Fall Mustafa Kizilcay, Holger Glasmachers, Inge und Christian Thomsen. Inge, Holger und ich flogen zunächst auf ein Bild-Paar, das Mustafa direkt nach unserem gemeinsamen Café-Basico-Besuch gemacht hatte. Oberes Bild ein HTS-Foto von bestechender Klarheit, Schönheit des An-, Durch- und Ausblicks, unteres Bild einer jener anonymen Blechcontainer, die zu unserer Alltagswahrnehmung gehören.
Mustafas Reaktion: „Auf keinen Fall, schön und kommt in die Ausstellung, aber viel zu offensichtlich und eindeutig.“
Zweiter Anlauf: Halbdurchsichtiger Vorhang – oder Gazestoff-Bild mit Sehschlitz, das Auge auf alte Uhren und Messgeräte im Hintergrund gerichtet. Holger und ich, Vintage-begeistert, rufen aus: „Ästhetisch super!“ Mustafa: „Nix da, da sagen alle gleich ‚typisch Naturwissenschaftler und Techniker‘!“ Ohne Zweifel besteht das Grundprinzip aller Natur- und Ingenieurwissenschaften im Messen und Wägen. Das verhält sich bei Mustafas Institut nicht anders. Die Kunst fügt Ästhetik, die – oft vorgebliche – Freiheit und Zwecklosigkeit, die Kombination von Kopf- und Bauchgefühl mit entsprechender Kreativität hinzu. Mustafas Reaktion: „Schönes Bild, aber wiederum analytisch zu einfach.“
Dritter Anlauf: Gazevorhang mit Sehschlitz, zarte gelbe und blaugraue Farbtöne. Im Durchblick der Ansatz einer Stehleiter sichtbar und der Ausblick auf rätselvoll verdeckte Bilder mit einem sichtbaren An- und Ausblick auf ein gerahmtes Landschaftsbild. Also: Mit Kunst auf Kunst blicken! Mustafa: „Das nehmen wir.“
Da kann man nun ganz tiefgründig über den Sinn von Kunst und Bild im Bild nachdenken, wie in meinem Metier, der anglistisch-amerikanistischen Literaturwissenschaft über Sinn und Bedeutung des Spiels im Spiel in Shakespeares Hamlet oder auch in seinem A Midsummer Night’s Dream, oder man könnte es mit ironischem Aha-Effekt kommentieren, oder gar im Gegenwartsjargon „mega-hammerhart“ ausrufen: Das aber entspricht nicht Mustafas Stil. Der lautet: „Das Bild ist gut, es trifft meine Intentionen.“
Verehrtes Publikum: „Macht Euer Hirnschmalz geschmeidig! Frönt eurer Augenlust, gebt ihr Futter mit Eurer ganz individuellen Interpretation von Mustafa Kizilcays Bildern. Mustafa, dem Meister des Zufalls, aber des bis ins letzte Detail minutiös geplanten Zufalls. Und da vereinen sich in seltener Harmonie Naturwissenschaft und Kunst.