AUSSTELLUNGSPROJEKT MICHAEL SCHUMANN

SchumannEinladung

Michael Schumann:  Experimentator zwischen Figuration und Abstraktion

Da lebt man der der Uni jahrzehntelang nebeneinander her, weiß einer vom anderen, dass es ihn gibt, kennt sich aber nicht. Das liegt an der Verschiedenheit der jeweiligen Fächer. Michael an den Erziehungswissenschaften in der Erwachsenenbildung, tätig, ich in Anglistik, Medienwissenschaften und Architektur.

Erst lange nach der Emeritierung brachte uns der Kunstwechsel vor zwei Jahren zusammen, als Michael, der seine, mich ungemein anziehende Serie der „Black Paintings“ ausstellte, auf uns zukam und fragte: „Sind Sie nicht die Thomsens?“

Diese „Black Paintings“ hatten es mir angetan. Als ich trotz absoluten Kaufverbots, weil unser Haus vor Kunst überquillt, am Ende unseres Rundgangs mich noch einmal zu Michael Schumann davon stahl, ohne dass Inge es merkte, um doch eines dieser „Black Paintings“ zu erwerben, meinte dieser: „Pech gehabt, alle schon verkauft.“

Der Ex-Professor ist also kein brotloser Künstler und hat nach einem langen Berufsleben nach seiner Emeritierung 2008 zu seiner wahren Berufung gefunden. Was lange währt…

Und diese neue Arbeit und Aufgabe des Experimentierens und Pendelns zwischen Figuration und Abstraktion, wie er es so prägnant in seinem eigenen Kommentar zu dieser Ausstellung beschrieben hat, dieses Experimentieren mit Linien, Flächen, Farben, Formen, Lichteffekten, Räumen, erfüllt ihn. Die Malerei lässt ihn zur eigenen Bestätigung und zur Freude anderer zu sich selbst finden und hilft, den kürzlichen, großen Verlust zu bewältigen, den er mit dem Tod Ingeborgs, seiner Frau, erlitten hat.

Jeder Szenenwechsel an dieser,von Ulrich Langenbach als Mega – Vitrine entworfenen Wand, ist eine eigene Inszenierung. Michael Schumann hat vor Ort mit Hilfe von Heike Ritter, Inge Thomsen und Mustafa Kizilcay diesen XXXV. Szenenwechsel als Farbenrausch inszeniert. Ich kann mich nicht erinnern, an diesem Ort je eine Ausstellungs-Inszenierung gesehen und erlebt zu haben, deren Farben- und Themenreichtum mich derart sinnlich in ihren Bann geschlagen hätte.

Doch kommen wir zurück zu den „Black Paintings“. Einen Black Painting-Mann haben wir noch in dieser Ausstellung, eine überlebensgroße, schwarze Figur, allem Anschein nach ein Mann in einem zotteligen, fellartigen, struppigen Kostüm. Aber die scharfen Konturen beginnen sich schon aufzulösen. Er ähnelt, ohne dass dieses Michael im mindesten bewusst ist, dem Schauspieler Peter Simonischek. Der tappt als grizzly-bärenartig im Kukeri-Kostüm verkleideter Toni Erdmann im gleichnamigen, vielfach preisgekrönten und für den diesjährigen Oscar nominierten Film von Maren Ade durch einen Park Budapests. Er kehrt gleichsam sein verstörtes Inneres nach Außen und sucht im wiederholt scheiternden, schließlich gelingenden Zugang zu seiner Tochter auch die Frage nach der Erkenntnis des Wesenskerns seiner selbst zu lösen.

Es ist wohl die Angstlust, die einem die schwarzen Männer so gleichzeitig abstoßend–angsteinflößend wie anziehend macht: Unter der Maske, die Spiel, Verkleidung, Vermummung und doch Selbstdarstellung in einem ist, steckt der Mensch mit den Varianten seines Ichs. Für mich versteht dies niemand überzeugender darzustellen als die Kwakiutl-Indianer der kanadischen Westküste mit ihren Transformation-Klappmasken, die bis zu drei verschiedene Identitäten zu enthüllen vermögen. Beim schwarzen Mann aber werden auch Erinnerungen an die Kindertage wach. Wir wohnten nach der Flucht aus dem völlig zerstörten Dresden 1947 – 1954 in Bensheim an der Bergstraße bei der Witwe eines Generals, die alle noch mit „Exzellenz“ anreden mussten. Wir Kinder aber sagten: „Taxellenz.“ Dort gab es einen tiefen Kohlen- und Vorratskeller. Und immer, wenn ich in den Keller hinunter sollte, um etwas zu holen, umfing mich jene Urangst vor dem Dunkel da unten, vor irgendeinem unnennbaren Grauen und schwarzen Männern, die dort hausen mochten. Dem war nur mit Pfeifen und Sich-Mut-Ansingen beizukommen. Später erfuhr ich, dass es Inge als Kind ähnlich erging und manch einem von Ihnen vermutlich auch.

Michael experimentiert also mit der menschlichen, meist männlichen Figur, ihrem Äußeren und Inneren, dort typischen Leiden, die den älteren Menschen an Auge, Ohr, Hüfte und Knie befallen. Und dann noch der Tremor in den Händen. Hier spielt Autobiographie mit, aber als jemand, in dessen linkem Knie überhaupt keine Knorpel mehr sind, kann ich da leider mithalten.

Michael treibt seine Experimente weiter, lässt die menschliche Figur auf dem leinölgetränkten Papier nur in Umriss-Linien, manchmal mit angedeuteten inneren Organen, erscheinen und konzentriert sich dann auf den Kopf. Diesen abstrahiert er weiter, bis Augen, Nase, Mund fast zum piktogrammartig-dekorativen, grafischen Zeichen werden. Bei aller Zeichenhaftigkeit behalten die Gesichter noch immer emotionalen Ausdruck.

Dann setzt Michael seine Experimente fort. Er bewegt sich als Grenzgänger zwischen Figuration und Abstraktion, entwirft Farblandschaften, in die menschliche Körper, Gesichter eingebettet sind, mit Linien und Farbflächen verschmelzen, Teil von angedeuteten Wegen sind und Landschaften werden. Seine Farben gewinnen immer mehr an Intensität und so eine Art von sinnlicher Harmonie im Ausprobieren von Farbkonstellationen und Farbflächen. Er wechselt Strategien und Perspektiven, pendelt zwischen Übergängen von Figuration zu reinen Farbexperimenten in Flächen und Linien.

Wir haben zu dritt die Bilder dieser Ausstellung gemeinsam ausgesucht: Michael, Inge und ich. Als wir auf jenes Bild stießen, das er „Café Basico“ betitelt hatte, waren wir sofort und schlagartig überzeugt, dass es das Titelbild für Plakat und Ausstellung werden müsse.

Nun kann jeder der hier Anwesenden mit dem „Café Basico“ etwas anfangen, braucht nur über die Gleise zum ehemaligen Lokschuppen zu blicken, der mehr als bloßes Café, mittlerweile zu einem Zentrum der Tango-Tanzkultur geworden ist.

Dieses Bild strahlt viel von der Sinnlichkeit, Eleganz und den Bewegungen des Tangos aus. Es animiert unsere Fantasie, regt uns an, so ein Tango-Paar vor dem inneren Auge zu sehen, wie es sich dreht, die Beine übereinander schlägt, sich aneinander schmiegt und wieder trennt: Verlockung, Begehren, Verführung: gebändigt im streng definierten Zeremoniell der Schritte, Hebungen, Drehungen.

Als Inge dieses Bild erblickte, rief sie sofort aus: „Michael, das erinnert ja voll an Sam Francis!“ Und Michael: „Hä, an wen, Sam Francis, wer ist das, kenn‘ ich nicht?“ Der kunsthistorische Autodidakt wird sichtbar. Er kennt Sam Francis nicht, hat nie von ihm gehört. Wir lachen, aber nicht schadenfroh, sondern richtig froh: dass er so ganz von sich aus zu Farbkompositionen gefunden hat, die ähnlich elegant, meisterlich komponiert, experimentelle Farbkonfigurationen sind, wie sie auf vielen Bildern des weltberühmten Amerikaners zu finden sind: alle Achtung.

Inzwischen hat Michael natürlich, wie man das heute so macht, ausführlich Sam Francis gegoogelt und gesehen, das da tatsächlich Verwandtschaften im malerischen Experiment und der Kompositionsweise von Bildern bestehen. Für mich ist er der Grund, heute meine von Sam Francis gestaltete Krawatte anzuziehen, in einer Zeit, da eigentlich niemand außer Politikern und Fernsehmoderatoren mehr Krawatten trägt.

Michael Schumann experimentiert auch mit immer neuen Übermalungen seiner Leinwände. Was wir vor Weihnachten noch als pure, abstrakte Farbflächen, als Ausprobieren von Kontrasten oder farbpsychologisch gesehen, aufeinander abgestimmte Farbkompositionen gesehen haben, entpuppt sich wenige Wochen später als Gemälde, deren Konturen räumliche Tiefe, gewinnen, ja sogar wieder menschliche Körperteile als Kompositionselemente mehrdeutiger Flächen verwenden.

Und dann führt er plötzlich Schriftelemente in Farbflächen ein, deutet Räume mit wenigen Linien an, zwingt damit Auge und Fantasie, das Sichtbare im Kopf zu Räumen zu ergänzen oder er lässt schließlich Linien und Farbflecken sich poetisch zur Blumenwiese verwandeln.

Immer muss dabei das Gehirn aktiv werden. Mit bloßer Glotz-Passivität ist da kein Blumentopf zu gewinnen, geht man aber mit Entdeckerlust und Spürsinn an die Bilder heran, kommt Freude auf, weil man als Betrachter selbst kreativ werden muss. So gelingt der Dialog zwischen Künstler und Betrachter.

Der Künstler versteht sich ja, wie der Architekt, gern als Demiurg, als Weltenbauer. Die Welten, die Michael Schumann baut, sind vital, poetisch, sinnenfroh und er schlägt damit dem Alter, dem Gevatter Tod, ein Schnippchen.

Unsere Ausstellung beginnt mit dem Bild der Leiden des Menschen im Alter, sie endet mit Orpheus. Als eine der vielschichtigsten, poetischsten und zugleich tragischsten Figuren der griechischen Mythen- und Sagenwelt verkörpert Orpheus Musik, Tanz, unbedingte Liebe, Bekenntnis zum Leben und die finale Erkenntnis, dass der Tod letztlich nur durch Kunst überwunden werden kann. Folglich hat Michael seine Eurydike direkt neben Orpheus hängen lassen und damit hat er Ingeborg wieder in der Kunst und als Kunst zum Leben erweckt. Daneben nur noch eine Welt des Blaus, Ertrinken im Blau des Himmels und im Blau des Meeres.

Von der antiken Vasenmalerei bis zur modernen Fernsehserie haben sich alle nur erdenklichen Künste der Geschichte von Orpheus und seiner Gemahlin Eurydike angenommen, die er aus der Unterwelt des Todes ins Leben zurückholen wollte. Orpheus konnte so ergreifend singen, erzählt die Sage, dass er selbst die Felsen zum Weinen brachte.

Michael, dies ist eine schöne, gelungene Ausstellung und Du bereitest uns mit ihr Freude und Genuss an Deinen Bildern. Aber weinen müssen wir deshalb nicht, es sei denn, jemand kann seine Freudentränen nicht zurückhalten.

 

Schumann0 Schumann1 Schumann2

 

Schumann5

CAFÈ BASICO

Schumann3

PAPIERARBEITEN

Schumann4

ORPHEUS

Schumann6

BLUMENSTRAUSS